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SEHEN LERNEN

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Die Dinge zu denen wir im Leben berufen sind, sind häufig auch jene, welche am meisten Umkämpft sind. Nimm dir doch ein wenig Zeit und lasse mich dir über meine Geschichte erzählen.

Zeichnen war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen im Kindergarten. Ich habe es geliebt, mit Farben und Material zu experimentieren. Selbst wenn die Kindergärnerinnen mich oft dafür diszipliniert haben, was ich nicht verstand, da ich meine Kreationen für großartig hielt. Ich habe die Tatsache geliebt, dass ich mit Papier und Farbe alles erfinden kann, was ich haben möchte. Wenn ich also eine Uhr brauchte, habe ich eine gezeichnet, wenn ich ein Brettspiel brauchte, habe ich eines gezeichnet.

 

Meine Mutter liebte immer Kunst, insbesondere realistische Gemälde. Wenn sie etwas sah, das ihr gefiel, wies sie darauf hin und sagte: „Wow, schau, wie schön das ist“.

In meiner frühen Kindheit habe ich nicht gesehen, dass sie für meine Kunstwerke dieselbe Art von Erstaunen ausdrückte. Daher dachte ich nicht, dass das, was ich geschaffen habe, sonderlich gut ist. Und selbst wenn ich es liebte zu kreieren und zu malen, habe ich nicht großartig weiter in diese Vorlieb investiert.

 

Male einfach was du siehst

Ein Meilenstein in meinem Leben war als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Meine Schwester war immer eine großartige Malerin, und das in jeglichem Stil in dem sie sich gerne ausprobierte. Sie selbst hat in ihrer Kindheit viel mehr gezeichnet als ich und wurde schließlich eine sehr gute Architektin. Eines Tages besuchte ich sie und bat sie, mir das Malen mit Aquarell beizubringen. Ich erinnere mich, dass sie mich am Küchentisch vor eine dunkle, glänzende Keramikvase setzte und mir einen Bleistift und ein Papier gab. Dann sagte sie: "Okay, zeichne einfach, was du siehst."

Es klang simple für mich, war aber alles andere als einfach. Ich erinnere mich, wie ich diese Vase fünfzehn Minuten lang beobachtet und versucht habe, herauszufinden, was ich sehe, während meine Schwester Wäsche wusch oder sowas. Ich dachte, das einzige was ich sehen kann ist der Umriss und dass diese Vase dunkel war. Ich habe die Übertragung von einem 3D-Live-Objekt in ein 3D-aussehendes 2D-Fromat einfach nicht hinbekommen. Also gab ich schließlich auf (ich erinnere mich nicht, ob ich jemals nur einen Strich auf das Papier gesetzt habe, denn irgendwie schämte ich mich, nicht fähig zu sein einfach das zu machen was mir aufgetragen wurde).

 

"Ok, also lass uns etwas Anderes ausprobieren". Meine Schwester nahm eine Postkarte mit gelben, sonnenblumenartigen Blumen. Sie fing an, die Farben auf der Palette zu mischen und zu beschreiben, was sie sieht. Sie erklärte mir, wie man dort wo ich Reflektionen sehe diese auslasse und wie man eine dunklere Schicht auflegt, wo ich die Schatten sehe. Nachdem sie einige Blätter gemalt hatte, gab sie mir den Pinsel und ich fuhr das Bild fort. Die Blume wurde wunderschön was mich sehr ermutigte.

 

Von diesem Tag an, ich weiß nicht einmal wie, konnte ich einfach alles was mir gefiel mit Aquarell malen. Ich glaube, an diesem Tag habe ich einfach gelernt zu sehen. 

Beim Betrachten meiner Bilder könnte der Laie denken ich sei geschickt, oder geübt, aber ehrlich gesagt war Üben noch nie mein Ding, weshalb ich das auch nie großartig tat. Ich meine, klar, jedes Bild das man fertigstellt, war letztlich eine Übung, aber das ist immer noch etwas Anderes, als viele Studien zu machen und an dem eigenen Können aktiv zu arbeiten, um die Fähigkeiten zu verbessern. Darüber hinaus habe ich bis jetzt keine lange Historie über „fertiggestellte Bilder“.

 

Perfekt oder garnicht

Wie auch immer. Im Laufe der Zeit kamen ein paar Sachen an die Oberfläche, welche irgendwo in meiner Seele versteckt waren. Mir war nicht wirklich bewusst, dass Perfektionismus sich eingeschlichen hatte. 

Ein weiteres Erlebnis was in diese Kerbe schlug war als meine Mutter einmal so sehr ihre Begeisterung über dieses Wunderkind zeigte. Dieses Kind malte alles aus ihren Gedanken, aus ihrer Imagination, und das in perfekter Art und Weise, mit supervielen Details und anatomischer Korrektheit, und das sogar seit ihrer frühen Kindheit. Von da an war ich völlig überzeugt, dass das was ich tue keine wirkliche Kunst, und überhaupt einfach nichts Besonderes sei. Alles was ich tue ist einfach das zu kopieren was ich sehe. Jeder könne das, dachte ich, denn schließlich habe ich es selbst nie gelernt. Zur Erinnerung, ich habe es nach dieser „Sonnenblumen-Erfahrung“ einfach gekonnt. Etwas Superrealistisches aus meinem Verstand malen, das kann ich nicht. Aber genau das ist wohl ein „echter Künstler“, dachte ich. Damit habe ich nun schlussendlich, abgesehen von einigen Ausnahmefällen, jahrelang mit dem Malen aufgehört.

 

Mission im Dreck

2017/2018 gingen mein Mann Denis und ich für den Missionsdienst nach Mosambik und besuchten dort eine Schule. Diese Schule ließ jede Woche verschiedenen Missionaren einfliegen. Standartmäßig schickten sie diese Gastsprecher wieder mit einem Gastgeschenk nach Hause. So machen sie es schon seit ungefähr 25 Jahren. Dieses Jahr kam dahingehend eine neue Idee auf die Bildfläche.

Eines Nachmittags kam eine Mitarbeiterin auf uns zu und fragte ob jemand von uns prophetisch malen könne. Es ginge darum, dass jemand ein prophetisches Gemälde male, welches sie dem Gastredner als Geschenk mitgeben könnten. Noch bevor die Anfrage auch nur ausgesprochen wurde, sprang mein Mann vom Stuhl auf und sagte: "Hier, meine Frau, sie kann das definitiv." Ich wollte ehrlich gesagt weglaufen und mich irgendwo verstecken. Er wiederholte sich immer wieder und so fragte sie mich schließlich: "Bist du dazu bereit, wir geben dir Farbe und alles."

In meinem Kopf hörte ich mich sagen: "Ich bin doch nicht nach Afrika gekommen, um zu malen, ich bin hier für Mission, etwas super Wichtiges, nicht um zu malen!", Aber ich sagte: "Ja, natürlich, mach ich gerne", während ich meinem Mann mit diesem „in was hast du mich reingeritten“ Gesicht ansah.

Ich wusste nicht, dass während ich so beschäftigt mit dem all-so-wichtigen Missionsdienst unter den Ärmsten der Armen war, Gott selbst auf einer wichtigen Mission war – es ging ihm um mein Herz.

 

Einige Stunden später bekam ich alle Materialien. Ich war schockiert. Die Leinwand war lackiert. Darauf sollte ich mit wasserbasierter Acrylfarbe malen? Die Farbtuben waren alt und zum Teil vertrocknet. Mir fehlten die Grundfarben mit denen ich normalerweise malen würde und von allen Pinseln die sie mir gaben, war nur einer halbwegs in solch einem Zustand, dass ich nicht befürchten musste, dass der beim Malen gleich alle seine Haare verlieren würde.

Nächstes Problem, ich hatte keine Ahnung was ich malen sollte und ich hatte obendrein kein Internet um nach Referenzen zu suchen, irgendwas was ich wie gewohnt abmalen könnte.

Diesmal war es also nur ich, schlechte Materialien, ein paar Stunden Sonnenlicht - da diese früh unterging - meine Vorstellungskraft und Gott.

 

Es sieht anders aus als in meiner Vorstellung

An jenem Tag war es Freitag und ich hatte bis Montag Zeit. Am Sonntag fand ich mich immer noch ohne Idee wieder. Auf dem Weg zur Kirche sprach ich mit einer Freundin von mir, welche ebenfalls ein Bild für einen anderen Gastsprecher malen sollte. Ich fragte sie, ob sie schon eine Idee hätte. Sie sagte: „Ja, ich werde das so und so malen… und dort wird es so sein… und er wird auf dem Rücken reiten… und der Hintergrund bleibt vielleicht so… was hast Du?".

"Nun, ich sah ... einen Spritzer Rot ... quer über dem Bild ... und da war ... ähm ... dunklere Farbe im Hintergrund."

Dies war überhaupt nicht meine Komfortzone und ich musste mich mit allen möglichen Fassetten des Perfektionismus in mir auseinandersetzten.

Während der Predigt dann und während der Anbetung passierte etwas Erstaunliches. Ich schloss meine Augen und plötzlich tauchten alle möglichen Details neben dem roten Spritzer und der dunkleren Farbe in meinem Kopf auf. Nach der Predigt bekam ich ein vollständiges Bild und war bereit loszulegen.

Ich beendete das Bild in 3 Stunden bei Tageslicht und fügte die Schriftstelle aus der Predigt auf der Rückseite des Gemäldes hinzu. Ich war noch nicht ganz von meinem Ergebnis überzeugt, da ich die Farben in meinem Kopf leuchtender sah was aber nicht zu ändern war, da meine Farbpallette von den Farben bestimmt wurde, die sie mir gaben. Das und all die anderen „schlechten Gegebenheiten“ führte dazu, dass ich mich eingeschränkt fühlte und nicht vollständig ausdrücken konnte, was ich sah. Auch die Lackierung war eine Herausforderung, denn sie ließ die Farbe auf den Leinwänden zusammenlaufen, als würde man versuchen, auf einer Glasoberfläche zu malen. Daher war ich zufrieden, dass ich überhaupt ein Ergebnis hatte, das irgendwas mit dem in meinem Herzen zu tun hatte. Dennoch, ich war dankbar, dass diese „Aufgabe“ nun vorbei war.

 

Am nächsten Tag war ich erstaunt, für wen dieses Gemälde war. Es war genau für diesen Prediger, der am Sonntag ein Wort teilte und auf dessen Wort hin ich alle Details für das Bild bekam. Witziger weise heißt er Pastor Surprise.

 

Durchatmen am Nachmittig. An diesem Nachmittag kam die Mitarbeiterin zu mir zurück um sich zu bedanken und: „kannst du noch eines für einen der nächsten Gastredner machen? Diesmal hat jemand ein prophetisches Wort geschrieben, und du könntest dem entsprechend etwas malen, etwas was dazu passt.“

Ich konnte dem nicht entgegenstehen, also stimmte ich zu. Da stand ich nun. Alles nochmal von vorne. Nicht, dass das genug gewesen wäre, sie kam vier Wochen hintereinander. 

 

Er haucht Leben ein

Gott schien den Perfektionismus in mir wirklich brechen zu wollen. Während dieser Zeit und während der gesamten Zeit in der wir dort in dem „Missionsdienst waren“, arbeitete Gott viel an mir und formte mich zu einem Gefäß, das bereit war, von ihm gefüllt und nach seinem Willen wieder ausgegossen zu werden. Ich kam zu dem Verständnis, dass er mich mit den künstlerischen Fähigkeiten ausgestattet hat, und dass diese tatsächlich nichts Besonderes sind. Du hast mich richtig gehört. Nichts Besonderes im Vergleich, denn Er vergleicht nicht. Nichts Besonders aber Einzigartig und es gehört zu mir wie meine Augenfarbe und mein Fingerabdruck. Mir wurde klar wie sehr das aus jeder Richtung umkämpft wird, sogar seit meiner Kindheit. Wie es meine Geschichte hier auch zeigt. In dieser Zeit dort öffnete Er meinen Geist und meine Vorstellungskraft. Ich begann so viel im Geist zu sehen, besonders während des Gottesdienstes, des Gebets und während der musikalischen Einheiten. Ich lernte, wie man ein imaginär vorbeifahrendes Bild einfängt um es länger zu betrachtet und die Details zu erfassen, um letztlich in das Bild einzusteigen und buchstäblich das zu erfahren, was ich sehe.

 

Eine tiefgründige Sache, die den Perfektionismus wirklich zum Bröckeln brachte, war, dass er mir wie Jesus ein Gleichnis erzählte. Er erklärte mir, dass es keine Rolle spielt, wenn er eines seiner „Gefäße“ bittet zum Beispiel ein kleines Mädchen auf einer Schaukel zu malen, ob das Gemälde nun super realistisch ist oder ob es in Strichmännchen-Form gemalt wurde. Der wichtige Teil ist, dass Er durch das Bild zu dem spricht, der es betrachtet. Meine Aufgabe ist es, dass was ich sehe auf die Leinwand zu bringen und nicht zu versuchen, es perfekt zu machen. Denn ich kenne den Verstand oder die Geschichte der Personen, die es betrachtet nicht. Ich male nicht für Menschen. Gott selbst wird für den Betrachter die wichtigen Details hinzufügen genauso wie einst erst durch seinen Atem Leben in den geformten Körper aus Lehm kam.

 

So sitze ich nun hier, immer noch im Kampf gegen Perfektionismus. Der Perfektionismus spricht und sagt, ich hätte nicht genug Bilder um diese Seiten zu füllen, ich hätte nicht genug Fähigkeiten und somit nicht das Recht um über all das hier zu schreiben und zu sprechen. Der Perfektionismus spricht und sagt, ich solle noch ein paar Jahre warten bis ich weiß was ich tue, bis ich Referenzen haben und Menschen gut über mich sprechen, ich einen Titel erworben habe. Ich müsse Theologie, Kunst oder sonst welche Wissenschaften studieren.

 

Was ihr hier seht und sehen werdet ist, wie ich das Gegenteil von dem mache was der Perfektionismus von mir will. Nicht lediglich das Gegenteil, sondern das, wozu mich der Töpfer auffordert, das wozu Er mich geformt hat. Denn Seine designte Form entscheidet über den jeweiligen Gebrauch, über meinen Gebrauch, nicht die Form in die mich Perfektionismus, die Welt oder Religion pressen will.

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